Als Blaise Pascal schrieb, dass „das ganze Unglück der Menschen allein daher rührt, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen“, muss es noch stille Zimmer gegeben haben. Heute hilft selbst das Einschliessen im Arbeitszimmer nicht mehr gegen das Unglück, schliesslich ist man auch in den eigenen Räumen, in tiefer Nacht, nicht alleine.
WLAN ist überall, wir sind sogar zu Hause mit hunderten von Menschen vernetzt. Michel Foucault beklagte in den siebziger Jahren den Verlust der „Schweigekultur“, das permanente Geplapper der Fernsehgesellschaft würde alle Selbstregulationsfähigkeiten verkümmern lassen. Tocqueville wunderte sich 120 Jahre zuvor, 1832 auf seiner Amerikareise, über,,all die Menschen, die sich rastlos im Kreis drehen, um sich kleine und gewöhnliche Vergnügungen zu schaffen, die ihr Gemüt ausfüllen.“ Seiner Meinung nach steckten sie fest in einem,,Zustand der Kindheit“, in dem sie,,nichts anderes im Sinn haben, als sich zu belustigen“. So weit, so bekannt.
Dauergeschnatter auf allen Kanälen Albert Robida, ein französischer Comiczeichner und Erzähler vom Anfang des 20. Jahrhunderts, entwarf in einigen Science-FictionGeschichten ein erstaunlich genaues Bild unserer Mediengesellschaft. In einem Interview im Jahre 1919 sagte er, er beneide die Menschen der Zukunft kein bisschen:,,Sie werden ihren Alltag im Räderwerk einer total mechanisierten Gesellschaft verbringen, in einem Masse, dass ich mich frage, wie sie noch die einfachsten Freuden geniessen wollen, die uns zur Verfügung stehen: Stille und Einsamkeit. Aber da sie all das überhaupt nie kennengelernt haben werden, wird es ihnen auch nicht fehlen.“ Wie prophetisch: Die kanadische Soziologin Rhonda McEwen, die das Kommunikationsverhalten von Jugendlichen untersucht, sagt, dass viele Jugendliche mit ihren elektronischen Geräten einen so dichten Kokon aus Geplapper um sich gesponnen haben, dass sie nicht mehr wissen, was Alleinesein bedeutet. In Kanada war es über Generationen hin üblich, die Sommerferien in der Einsamkeit der Natur zu verbringen, das ändert sich laut Ewen gerade dramatisch. Der 21. April 2009 hätte ein Tag der Freiheit werden können; ein Tag der Stille und inneren Sammlung; ja, ein nationaler Tag des autonomen Ichs! Am 21. April 2009 hat ein heldenhafter Telekom-Angestellter das Dauergeschnatter auf allen Kanälen nicht mehr ausgehalten und einfach mal für Ruhe gesorgt. Er hat an jenem Nachmittag das System runtergefahren (angeblich aus Versehen) und dadurch 29 Millionen Telekom-Kunden fünf Stunden Stille geschenkt. Insgesamt sind das 145 Millionen Stunden, in denen diese Menschen endlich hätten in sich gehen können, durch Flussauen wandeln, ein gutes Buch in der Hand.
Stattdessen hackten die TelekomKunden wie besinngslos auf ihre Handys ein und deckten dann umgehend das Unternehmen mit Beschwerdemails ein. Eine Welle der Empörung rollte über das Land, Unternehmer verklagten die Telekom, weil sie wichtige Geschäftspartner nicht erreicht hatten.
Süddeutsche Zeitung
Jenseits der Stille
jenseits mimo
e Stille (-, 0) ticho
s Handy (s, s) mobil
e Mail (-, s) email
verlernen zapomenout, odnaučit se
daher rühren pocházet
vermögen být schopen, být s to
s Einschliessen (s, 0) zavření
vernetzt propojený
beklagen litovat, želet
r Verlust (es, e) ztráta
e Schweigekultur (-, en) kultura mlčení
s Geplapper (s, 0) žvanění, tlachání
verkümmern zakrnět
rastlos neúnavně
e Vergnügung (-, en) potěšení
schaffen opatřit si
s Gemüt (s, er) srdce, nitro
stecken vězet
sich belustigen pobavit, obveselit se
entwerfen (a, o) vytvořit, vykreslit, načrtnout
erstaunlich pozoruhodně
beneiden závidět
r Alltag (s, 0) život, všední den
s Räderwerk (s, 0) soukolí; systém
s Mass (es, e) míra
e Einsamkeit (-, en) samota
s Dauergeschnatter (s, 0) neustálé brebentění
um sich spinnen (a, o) vytvořit, upříst kolem sebe
e Sammlung (-, 0) usebrání
heldenhaft hrdinný
r Angestellte (n, n) zaměstnanec
aus/halten (ie, a) vydržet
für Ruhe sorgen postarat se o klid
runter/fahren (u, a) vypnout
angeblich údajně
aus Versehen nedopatřením
e Flussau (-, en) niva, luh
wandeln (b.) zvolna se procházet