In den „Farbwerken vorm. Meister Lucius & Brüning, Hoechst“ drohte die Lage außer Kontrolle zu geraten. Alarmiert und in äußerster Eile telegrafierte die Geschäftsführung in die Reichshauptstadt, direkt an das Finanzministerium: Reichsbank ohne Barmittel Punkt Löhnung unserer fünfzehntausend Arbeiter und Angestellten in Frage gestellt Punkt Bitten angesichts Notgeldgesetz vom siebzehnten Juli um schwere Unruhen zu vermeiden um Erlaubnis kurzfristige Gutscheine ausgeben zu dürfen Punkt Dringende Drahtantwort schnellstens erbeten.
Ein solches Telegramm musste jeden Banker, jeden Finanzbeamten erschauern lassen. Das Management der Farbwerke, der späteren Hoechst AG, hatte zum Zahltag nicht genug Bares in der Kasse. Und wollte deshalb selbstgemachtes Ersatzgeld benutzen. Es hatte viel geschehen müssen, bis zu diesem Tag im Herbst 1922, dass eine Anfrage wie diese nicht rundweg absurd erschien. Doch die Idee, mit hausgemachtem Geld statt offizieller Reichsmark zu zahlen, hatte zu diesem Zeitpunkt bereits Tradition.
Kleingeld geht aus Die Stimmung war euphorisch gewesen, im August 1914. Die Nation bejubelte den Aufbruch in den Krieg, am raschen Sieg gab es keinen Zweifel. Welcher Kleingeist wollte da an Hamstern, an Horten denken? Einige wollten: diejenigen, die dem Krieg am nächsten waren. In den frontnahen Gebieten, im Elsass und in Ost- und Westpreußen, brachte man sein Geld vor dem nahen Feind in Sicherheit. Damit Handel und der alltägliche Einkauf überhaupt noch möglich waren, gaben Gemeinden und große Arbeitgeber Ersatzgeld aus - als Akt der Selbsthilfe, ohne Genehmigung aus der Hauptstadt. Deshalb nannte man das Kind auch lieber nicht beim Namen und druckte „Gutschein“, „Anweisung“, „Spareinlage“ auf die Scheine.
1916 war es schließlich soweit: Das Silber in einem Markstück war mehr wert als die Mark, zu der es geprägt war. Wer mit dieser Münze ganz normal bezahlte, gab sie unter Wert aus der Hand. Rasch verschwand das Silbergeld deshalb in den Schatullen und war an der Kasse nicht mehr zu sehen. Die Pfennige ereilte ein ähnliches Schicksal: Denn Fünfer und Zehner enthielten Nickel, in Ein- und Zweipfennigstücken steckte Kupfer. Beides war begehrt, denn es wurde in der Rüstungsproduktion dringend gebraucht. Und so verschwanden auch die Pfennige.
Die Kommunen hatten keine Wahl: Sie mussten Abhilfe schaffen, brachten Notgeld heraus, und diesmal nannte man es auch so. Städte und Gemeinden begannen, ganze Serien von aufwendig gestalteten Scheinen zu entwerfen, nur für die Liebhaber und ihr vorzügliches Hobby. Zu Beginn der zwanziger Jahre erlagen mehr und mehr Menschen der Sammelleidenschaft, es wurde getauscht, gehandelt und zunehmend auch spekuliert.
Doch die Preise stiegen schneller, als die Reichsbank Scheine herstellen konnte - deshalb halfen alle mit: Banken, Firmen und Städte druckten, was die Presse hergab. Manche verlegten sich darauf, ihre Eigenwährung nicht mit Reichsmark zu decken, sondern mit Naturalien: Die Oldenburgische Staatsbank brachte Gutscheine in Umlauf, die dem Überbringer 150 Kilogramm Roggen zusicherten. Die Idee erwies sich als ausbaufähig. Nachahmer bezogen ihre Scheine nun auf Feingold, Speck oder den Kubikmeter Gas.
Die Einführung der Rentenmark machte dem Spuk ein Ende. Am 15. Oktober 1923 galt im ganzen Reich wieder eine Währung mit stabilem Wert. Das Notgeld wurde nur noch nach Gewicht als Altpapier verramscht. Es verschwand für immer aus dem Alltag und fiel dem Vergessen anheim. Die Mark hatte sich ihr Monopol zurückerobert - nur bei den Sammlern nicht.
Spiegel Online
***
Der schöne Schein
r schöne Schein hezká bankovka; krásné (klamavé)
zdání
sich drucken vytisknout si
e Lage (-, n) situace
außer Kontrolle geraten (ie, b. a) vymknout se kontrole
in äußerster Eile v největším spěchu
e Geschäftsführung (-, en) vedení podniku
s Barmittel (s, -) hotovost
e Löhnung (-, en) výplata mzdy
s Notgeldgesetz (es, e) zákon o nouzových penězích
e Unruhe (-, n) nepokoj
vermeiden (ie, ie) vyhnout se
e Erlaubnis (-, se) povolení
kurzfristig krátkodobý, prozatímní
r Gutschein (s, e) poukaz, cenina
e Drahtantwort (-, en) telegrafická odpověď
erbitten (a, e) prosit o
r Finanzbeamte (n, n) finanční úředník
erschauern zděsit se
r Zahltag (s, e) výplatní den
s Ersatzgeld (es, er) náhradní peníze
e Anfrage (-, n) prosba, dotaz
rundweg naprosto, zhola
e Reichsmark (-, 0) říšská marka
bejubeln oslavovat, jásat
r Aufbruch (s, ü-e) vypuknutí
rasch rychlý
r Zweifel (s, -) pochybnost
r Kleingeist (es, er) malý duch
s Hamstern (s, 0) křečkování
s Horten (s, 0) hromadění majetku
frontnah blízko fronty
(s) Elsass Alsasko
e Gemeinde (-, n) obec
r Arbeitgeber (s, -) zaměstnavatel
e Selbsthilfe (-, n) svépomoc
e Genehmigung (-, en) povolení
beim Namen nennen říkat podle pravdy
e Anweisung (-, en) poukázka
e Spareinlage (-, en) spořitelní vklad
r Schein (s, e) bankovka
s Silber (s, 0) stříbro
wert sein mít hodnotu
prägen razit
unter Wert pod cenou
verschwinden (a, u) zmizet
e Schatulle (-, n) krabice, škatule
ereilen dostihnout
s Schicksal (s, e) osud
r Fünfer (s, -) pětifenik, pětník
s/r Nickel (s, 0) nikl
s Kupfer (s, 0) měď
begehrt žádaný
e Rüstungsproduktion (-, en) zbrojení
Abhilfe schaffen zajistit pomoc
aufwendig nákladný
gestaltet vytvořený
entwerfen (a, o) navrhovat
e Sammelleidenschaft (-, en) sběratelská vášeň
erliegen (a, e) podlehnout
sich verlegen auf věnovat se
e Eigenwährung (-, en) vlastní měna
decken krýt
r Umlauf (s, ä-e) oběh
r Überbringer (s, -) doručitel
r Roggen (s, 0) žito
ausbaufähig dobrý (a vylepšitelný)
r Nachahmer (s, -) napodobitel
e Einführung (-, en) zavedení
e Rentenmark (-, 0) obligační marka
r Spuk (s, e) strašidlo
verramschen prodat
dem Vergessen anheim/fallen (ie, b. a) upadnout v zapomnění
zurück/erobern znovu dobýt