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Fleischlos glücklich

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Vegetarische Kost ist zur gesellschaftlichen Mode geworden

Vor ein paar Jahren noch, erinnert sich Claus Leitzmann, sei er regelmäßig belächelt worden, wenn er mal wieder das Steak zur Seite geschoben und nur die Beilagen gegessen habe. „Müslifreak“ und „Körneresser“ wurde er genannt, erzählt der Professor für Ernährungswissenschaft an der Universität Gießen, der schon seit 30 Jahren kein Fleisch mehr isst.

Und ständig diese Witze: Ob er als Vegetarier Orangensaft trinken dürfe, da sei doch Fruchtfleisch drin. Seit ein paar Jahren aber hätten die Sprüche aufgehört. „Heute wundert sich kein Mensch mehr, wenn man kein Fleisch isst“, hat er festgestellt. „Vegetarische Ernährung ist gesellschaftsfähig geworden.“ Im Zeitalter von BSE, Gammelfleischskandalen und wachsendem Umweltbewusstsein hat der Vegetarismus einen Imagewandel durchgemacht: Vom Öko-Trip grüner Strickpulli-Träger hin zu einem modernen Lebenskonzept, für das Stars wie Gwyneth Paltrow, Dustin Hoffman oder Julia Roberts Vorbilder sind. Sterneköche haben die fleischlose Kost ebenso entdeckt wie Betriebskantinen, Fastfoodketten und Gasthäuser. Und seit 1998, innerhalb von nur zehn Jahren, hat sich die Mitgliederzahl des Deutschen Vegetarierbunds verdoppelt - nach Eigenangaben auf 2000 Aktive. Der Mensch - ein Beilagenesser? Wie viele Menschen sich tatsächlich vegetarisch ernähren, darüber gibt es keine gesicherten Erkenntnisse. Während der Vegetarierbund von acht Prozent ausgeht, ermittelte die Gesellschaft für Konsumforschung sechs Prozent, und die jüngste Untersuchung, die Nationale Verzehrstudie des Karlsruher Max-Rubner-Instituts (MRI), ergab gerade mal 1,6 Prozent. Frauen ernähren sich laut MRI mit 2,2 Prozent mehr als doppelt so oft vegetarisch wie Männer mit nur einem Prozent. Außerdem ist bei älteren Menschen seltener fleischlose Ernährung zu beobachten. Demnach liegt der höchste Vegetarier-Anteil mit vier Prozent bei den 18- bis 24jährigen Frauen.

Dass Vegetarismus als gesund angesehen wird, ist relativ neu. Lange hat sich die Forschung auf die damit verbundenen Mängel konzentriert. Es dominierte das Bild vom blutleeren Vegetarier mit chronischer Eisen-, Calcium- und VitaminUnterversorgung. „Dies trifft heute eigentlich nur noch auf sogenannte ,Pudding-Vegetarier‘ zu, die auf Fleisch verzichten, ansonsten aber nur Weißbrot und Kekse essen“, sagt Gisela Olias vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam.

Wichtig sei nur, dass Fleischverzicht durch eine ausgewogene Ernährung kompensiert würde, mit genügend Gemüse und Milchprodukten. Vor allem Hülsenfrüchte und Nüsse enthalten wichtige Nährstoffe und Proteine, und um die Aufnahme von Eisen zu erhöhen, sollte Gemüse immer zusammen mit etwas Vitamin C oder Zitronensäure gegessen werden. Wer derart bewusst isst, lebt auch ohne Fleisch gesund - möglicherweise gesünder als das Gros der Bevölkerung. Eine Langzeituntersuchung (seit 1978) des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg findet Hinweise auf „ein drastisch verringertes Sterberisiko“.

Süddeutsche Zeitung