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Wasser ist der neue Wein

Česko

Wasser hat sich vom Durstlöscher zum Modeaccessoire gemausert

Mein Staat, mein Schloss, meine Perle – so etwa könnte sich Ludwig XIV. anno 1700 geäußert haben, hätte jemand seine Majestät nach ihren größten Trümpfen gefragt: Aus Frankreich hatte Ludwig die führende Macht Europas gemacht, Versailles war dessen kulturelles wie politisches Herz, und Châteldon – welch Perle! Ein Mineralwasser gleich einer Dame, feingliedriges Prickeln, dezent im Abgang. Dabei war Wasser damals alles andere als en vogue: Bei Hofe wurde gepudert, nicht gewaschen. Doch Châteldon glich einem Wunder: Es heilte seiner Hoheit Darm, beruhigte seine Nerven, beflügelte die Stimmung. Seit 1650 ließ es der Sonnenkönig daher aus der 450 Kilometer entfernten Auvergne an den Hof karren – das erste in Flaschen abgefüllte Wasser der Welt, wie auch das erste, das eine große Karriere machen sollte.

Wasser-Euphorie Mehr als elf Milliarden Liter Mineralund Heilwasser haben die Deutschen 2008 getrunken – das sind 138 Liter für jeden und elf Mal so viel wie 1970, als der Pro-KopfVerbrauch bei gerade einmal 12,5 Litern lag. Wasser ist das zweitbeliebteste Getränk, gleich nach Kaffee und noch vor Bier, dessen Konsum seit Jahren rückläufig ist. Ob Büro, Strand, U-Bahn oder Fußgängerzone, die Mehrheit der Deutschen hat nahezu überall eine Wasserflasche dabei. Einer, der mit Skepsis auf die Wasser-Euphorie blickt, ist Wulf Schiefenhövel, Mediziner und Verhaltensforscher am Max-Planck-Institut in Andechs.

Wassertrinken habe in Europa einen philosophischen, quasireligiösen Stellenwert angenommen. Jahrelang hat Schiefenhövel die Bewohner des Hochlandes von West-Neuguinea, die Eipo, beobachtet, die maximal einen halben Liter pro Tag trinken und damit optimal versorgt sind. „Aber wir Europäer missverstehen den menschlichen Körper als mangelhafte Maschine, die von außen Kommandos bekommen muss, um zu funktionieren.“ Dabei sei der Mensch mit einem perfekten Wasserbalance-System ausgestattet: „Der beste Ratgeber ist unser Durst.“ Angaben darüber, wie viel Wasser man zu trinken habe, lehnt Schiefenhövel strikt ab.

Zahllose Ratgeber-Bücher und die Mineralwasserindustrie empfehlen derweil, mindestens zwei Liter pro Tag zu trinken. In Deutschland gibt es mehr als 500 Mineralund 60 Heilwässer; dazu kommen diverse Tafel-, Quell- und Sauerstoffwässer sowie Nearwater-Produkte – sie alle wollen gekauft werden. Die Firmen, die es sich leisten können, setzen deshalb auf Werbung mit Prominenz: Was Ludwig für Châteldon, sind Johannes B. Kerner für Bonaqua, Heidi Klum für Bella Fontanis und Madonna für Voss. Besser sind die Wässer – so lautet die korrekte Mehrzahl in der Fachsprache – damit nicht.

Süddeutsche Zeitung

O autorovi| Der Standard, Stránku připravila Veronika Jičínská

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