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Liebesgrüße aus Berlin

Česko

Furchtbar unwiderstehlich: Eine Hassliebe zur amerikanischen Kultur

Ein ganz einfacher Versuch. Man sollte sich eine der unzähligen Fassungen der patriotischen Hymne „America the Beautiful“ anhören, die der Soulsänger Ray Charles eingespielt hat. Wir werden uns für den Schauer schämen, der uns über den Rücken läuft, weil Ray Charles so viel Seele in eine Empfindung legt, mit der wir in Europa viele schlechte Erfahrungen gemacht haben - die Liebe zu einem Land.

Wir Deutschen hatten es mit Amerika schon immer besonders schwer. Weil wir die Politik dort so furchtbar, die Gesellschaft so grausam und den Patriotismus so großmäulig fanden. Meist ist diese Hassliebe doch immer wieder in glühende Verehrung umgeschlagen. Und das hatte nichts mit der Politik, der Gesellschaft und dem Patriotismus dort zu tun. Sicherlich wurde John F. Kennedy in Deutschland genau so leidenschaftlich verehrt wie in seiner amerikanischen Heimat. Nur darf man nicht vergessen, dass es bei seinem Auftritt in Berlin im Jahre 1963 um uns ging, nicht um Amerika. Mit seinem Satz „Ich bin ein Berliner“ vollzog Kennedy einen Paradigmenwechsel, der aus einem Volk der Täter nach dem Mauerbau ein Volk der Opfer machte. Dafür sind wir ihm ewig dankbar.

(K)eine Kultur Und weil in den USA am heutigen Dienstag gewählt wird, hoffen wir, dass „unser“ Kandidat gewinnt, der Demokrat eben. Als ob unsere Begeisterung für Amerika jemals irgend etwas mit Politik zu tun gehabt hätte. Nein, die Kultur war es schon immer, das Land und der Geist, der dort herrscht, die uns so in ihren Bann schlagen konnten.

Studierte man beispielsweise an einer deutschen Universität Amerikanistik, die amerikanische Kulturgeschichte hieß, dann musste man sich auf die Antwort auf die Frage nach dem Studienfach öfter mal ein saloppes „Kulturgeschichte?! Ja haben die denn eine Kultur?“, gefallen lassen. Und gerade in diesem Kalauer steckt das große Missverständnis Deutschlands im Umgang mit Amerika.

Denn ganz prinzipiell haben wir ein Problem mit der Zugänglichkeit der amerikanischen Kultur. Als die Welt von der Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre gebeutelt wurde, entstand in Amerika Hollywood, in Deutschland gab es die Reichsparteitage. Dort führte die Begeisterung der Massen zu neuen Formen der Popkultur. Bei uns führte sie ins Verderben. Ein Verderben, das viele der größten Talente in Film, Musik und Literatur ins Exil vertrieb. Davon hat sich die deutsche Popkultur nie wieder erholt. Nach dem Kriege blieb sie ein regionales Phänomen, kreiste oft noch um die eigene Geschichte. Der amerikanische Kulturbegriff unterscheidet dagegen nur selten zwischen Massenund Hochkultur. Es galt schon immer die Maxime, die Duke Ellington mit den Worten umschrieb: „Es gibt gute Musik, und es gibt die andere Musik. Und wenn es gut klingt und sich gut anfühlt, dann ist es gut.“ Gerade das macht diese Kultur so unwiderstehlich für den Rest der Welt.

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